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„Wächter – Traum von Menschlichkeit"
Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, 1995 Bilder und Skulpturen von Sybille Kreynhop Reinhard Petrick, Pastor „O, nun waren wir Nacht-Geweihte! Der tückische Tag, der Neid-bereite, trennen konnt uns sein Trug, doch nicht mehr täuschen sein Lug! Seine eitle Pracht, seinen prahlenden Schein verlacht, wem die Nacht den Blick geweiht. Seines flackernden Lichtes flüchtige Blitze blenden uns nicht mehr." So sagt, so singt Tristan in Richard Wagners Oper. Dass dieses Thema: Nacht und Tag für Sybille Kreynhop wichtig ist, wusste ich schon länger, aber dass sie manchmal beim Malen Wagner-Musik hört, erzählte sie mir erst vor einer Woche. Jeder von uns muss sich der Urgegebenheit stellen: dem Wechsel von Licht und Dunkelheit und der Entscheidung, welchem von beiden sein Gefühl mehr zuneigt. Für die meisten vollzieht sich das eher unbewusst. Für den bildenden Künstler hat solcher Gegensatz eine viel tiefere Bedeutung. Er braucht das Licht unbedingt für seine Arbeit – aber oft auch die Nacht, um die Bilder aus seinem Innern hervorzulocken – das, was sich dort verborgen hat an Urtümlichem, an Ängsten, Leiden und Leidenschaften. Die Dunkelheit ist in der christlichen Tradition von Anfang an verpönt gewesen, weil man sich gegen die alten orientalischen Mutterkulte gewandt hat, die ihren Ursprung und ihre Feier in der Nacht hatten. Demgegenüber wurde Christus als der „Morgenstern" verkündet, der das Finstere hinwegfegt und über alles Diffuse den Strahl seines klaren Geistes schickt. Doch die Nachtseiten des Religiösen blühten im Verborgenen weiter: z. B. in ketzerischen Gemeinschaften des Mittelalters, in denen die Frau sich von den Fesseln des Patriarchalischen löste – und schließlich im Gefühlsaufbruch der Romantik, in der ein Dichter wie Novalis die nächtliche Vereinigung mit der Geliebten dem Christus-Erlebnis gleichsetzte. Richard Wagner stellt den Höhepunkt dieser Entwicklung dar: „O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib Vergessen, dass ich lebe, nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los!" In solcher Verbindung von Liebe, Vergessen, Schoß und Weltlösung drückt sich das ganze Programm der Hochromantik aus – das, was in früheren Zeiten von Künstlern nur gefühlt wurde, war nun auf Begriffe gebracht worden und ist bis heute ein Thema der Kunst geblieben. Das Verführerisch-Anziehende der Nacht – ein dunkler See, in den man sich fallen lassen möchte, untertauchen in einer warmen, bergenden Flut – wer will das nicht irgendwann einmal, und welcher Künstler braucht das nicht zuweilen? Sybille Kreynhop war eine Nacht-Malerin, ihren Bildern hingegeben, besessen davon, mit den Händen zu schaffen, und in Farbe und Form zu bringen, was die Nacht an Schatten ihr zeigte. Sie selbst spricht von einer Zeit der Konzentration, Isolation und Ausblendung, aber deutet auch die Gefahren an, die in der Nacht, „im Ertrinken, Versinken" liegen. Der Künstler, der sich diesem romantischen Traum überlässt, vollzieht dabei, selbst wenn er allein ist, eine erotische Vereinigung. Denn sein Partner ist die Kunst. In ihr, mit ihr und durch sie lebt er – und manchmal stirbt er daran. Sybille Kreynhop hat solchen Abgrund wohl geahnt, sich deshalb vor drei Jahren, ausgelöst durch die äußere Erschütterung des Golfkrieges, für den Tag entschieden – und damit für ein Thema, das die heutige Ausstellung widerspiegelt: „Wächter – Traum von Menschlichkeit". Die Wächterfigur hat psychologisch gesehen eine sehr schillernde Bedeutung. Denn eigentlich kommt sie als Archetypus aus dem Unterbewussten, dem Reich der Nacht. Sie ist eine Schutzvorstellung, die, bereits in unserer Tiefe angelegt, den seelischen Bedrohungen entgegensteht. Aus diesem Reservoir an Urbildern bewegt sich der Wächter auf die Grenze zwischen Nacht und Tag hin, zwischen dem Hell-Bewussten und dem Dunkel-Verdrängten und ist nun als Hüter der Schwelle festzumachen. Von hier aus schaut er in beide Richtungen: dass von der Tag-Seite her sich nicht grobe, verletzende Kräfte der zarten Innerlichkeit nähern – und dass die Seele nicht im Abgrund der Nacht unterzugehen droht. Sybille Kreynhop drückt ihre Wendung zum Sonnenlicht auch durch andere Materialien aus: von der im Blick verschwimmenden Pastellfarbe zum kräftig-handfesten Öl. Vom durchscheinenden Papier zum tonnenschweren Stein, an dem sich die Tagesenergie der Künstlerin im wörtlichsten Sinne austoben kann. Das, was ich über die Kunst gesagt habe, lässt sich ohne viel Mühe auf das Religiöse übertragen. Denn, wie schon angedeutet, hat auch der Glaube Tag- und Nachtseiten und seine in unser aller Bewusstsein verwurzelte Wächterfigur ist der Engel, der den Menschen vor den Fährlichkeiten des Lebens schützen soll. Unsere Ausstellung wird in der Jahreszeit kurz vor der Passion gezeigt, und so ist es naheliegend, einen Zusammenhang mit der Person Christi herzustellen. Denn auch er hat für unser Gefühl eine Wächterfunktion. Er hat sich in das Reich des Dunklen hinein fallen lassen, um dessen Kräfte zu erkennen und ihrem Vordringen wehren zu können. Und dafür sein Leben gegeben. Die Künstlerin sieht hier wohl mehr den Opferaspekt und somit ihre eigene Geschichte oder die Geschichte der Frau überhaupt. Denn Sybille Kreynhops Gekreuzigte sind Frauen. Doch das Leiden ist auch in der Religion nur eine Durchgangsstation. Aus der am Kreuz gemarterten Figur des Jammers wird der Weltenherr, der das Universum überschaut und in seinen geöffneten Armen Bergung und Schutz gewährt. Diesen Endpunkt kann die Ausstellung gewiss nicht kenntlich machen. Denn sie zeigt Bilder einer Künstlerin, die auf dem Weg ist und sich dazu bekennt. Die sich mit tastenden Schritten hinauswagt in neue Dimensionen, um schließlich ganz bei sich selbst anzukommen. Die zentrale Skulptur in diesem Raum heißt : „Welle – Mond – Welle". Ein Marmorblock, den auch starke Männer nicht bewegen könnten. Trotzig, wie vor Millionen von Jahren entstanden, älter als jede Unterscheidung von Mann und Frau. Die Metallbögen, die aus dem Block hervorragen, sieht die Künstlerin als Wellen, die aber nicht über einem zusammenfallen, sondern wie in der Bewegung erstarrt, in der Luft verharren – doch vom Luftzug im Raum berührt und von der Erschütterung der Straße. Ein Spiel von Statischem und Flexiblem, von Männlich-Bedrohendem und Weiblich-Empfangendem, von Elementen des Tages und der Nacht. Nichts könnte treffender sein, als dass Sybille Kreynhop in dem Zusammenhang den Mond erwähnt. Denn der Mond ist das Gestirn des Weiblichen schlechthin, die Sonne der Nacht, die ihrem ungefügen Chaos zumindest gewisse Strukturen gibt. Ein Problem der bildenden Kunst liegt oft im Starren, Unbeweglichen. Unsere Künstlerin hier ist dem dadurch entgegengetreten, dass sie ihre Bilder als Mobiles ins Gewölbe hängt, ihre Opfer- und Wächterfiguren, die auf solche Weise ebenso dem Betrachter immer neue Perspektiven eröffnen wie sie selbst sich nach allen Seiten orientieren. Die Ausstellung „Wächter – Traum von Menschlichkeit" bietet eine Vielzahl von Kontrasten, wie das Leben sie nun einmal aufweist. Sie deutet Leiden und Verletzung an, Bedrohung und die Sehnsucht nach Schutz. Das Kantig-Männliche, wie es sich in der einen Wächtergestalt aus Granit ausdrückt, und die Steinplatte, auf dem Boden liegend, die ich die Uramöbe nennen würde, mit einem grauweißen Uterusbild darin. Jedes dialektische Gegeneinander verlangt nach Auflösung, nach einem sinnvollen Miteinander. Dies ist das Gesetz des Lebens – nicht das Untergehen, das am Schluss des „Tristan" besungen wird: „ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust". Die Antwort einer künstlerischen Aporie liegt manchmal nicht im Werk selbst, sondern in der Umgebung, da es zu sehen ist. Nach dem, was wir heute über die Person Jesu wissen, hat er versucht, das Zusammenfallen der Kontraste zu leben: dem Gefühl und der Ratio in sich Raum gebend, den männlichen und den weiblichen Anteilen. Vielleicht führt diese Ausstellung uns solchem Ideal ein Stück näher.
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Kunstschule Atelier
Sybille Kreynhop www.kunstschule-kreynhop.de ![]() Beschreibung zum Bild unten Titel "Das Zuhören - Du musst auch mal zuhören … Sa. - Gute Gedanken" - 2015 | Bleistift, Feder, Aquarell auf Papier | 70 x 100 cm ![]() Beschreibung zum Bild unten Titel "Aufbruch" - 2014 | Öl auf Leinwand | 120 x 150 cm (Bildausschnitt) ![]() |